Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät News & Veranstaltungen
„Woran forschen Sie gerade, Herr Professor Haunschild?“

„Woran forschen Sie gerade, Herr Professor Haunschild?“

© privat + M. de Arriba Unsplash.de

Wissenschaft ist wichtig – und sie verständlich darzustellen ebenso. Wie lässt sich gesellschaftliches Vertrauen in die Wissenschaft stärken? Indem die Akteure über ihre Forschungsvorhaben, -methoden und -ergebnisse berichten. Im aktuellen Beitrag: Axel Haunschild, Professor und Direktor am Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover zum Projekt „Markt als Krise: Institutioneller Wandel und Krisendiskurse in der Freien Theaterszene“.

 

Wie erklären Sie einem Laien den Kern und die Relevanz Ihres aktuellen Forschungsvorhabens?

Nicht nur die Wirtschaft und die Arbeitswelt verändern sich, z. B. durch veränderte politische Bedingungen, Marktdynamiken und technologischen Wandel, sondern auch Produktions- und Arbeitsweisen in den Künsten. Im Forschungsprojekt „Markt als Krise: Institutioneller Wandel und Krisendiskurse in der Freien Theaterszene“ geht es darum, aktuelle Wandlungsprozesse in der Freien Theaterarbeit zu identifizieren und zu analysieren.

Dass ich mich als Wirtschaftswissenschaftler bzw. Arbeitswissenschaftler inzwischen über 20 Jahre mit dem Theater befasse, überrascht vielleicht. Das Theater ist ein Beschäftigungssystem, das sich durch kreative Produktionsprozesse, flexible und prekäre Arbeitsformen, z. B. eine Dominanz befristeter Arbeitsverträge, eine extreme Projektorientierung und den Zwang zur Selbstvermarktung von Arbeitskräften auszeichnet. Aktuelle Entwicklungen der Arbeitswelt lassen sich hier beispielhaft und zugespitzt untersuchen. Arbeitsbedingungen und Probleme der sozialen Sicherung von Künstler:innen sind zudem durch die Corona-Krise auch ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit geraten.

 

Wie lautet Ihre Forschungsfrage und welcher Methoden bedienen Sie sich?

Im Kern geht es um den Zusammenhang zwischen Förderbedingungen, Arbeits- und Produktionsformen sowie künstlerisch-ästhetischen Ausdrucksformen im Freien Theater. Wie ist die Förderpolitik freier Theaterproduktionen ausgestaltet und wie verändert sie sich? Unter welchen Arbeitsbedingungen arbeiten freie Theaterkünstler:innen, wie verändern sich Produktionsweisen und wie hängt dies mit Förderstrukturen zusammen? Lässt sich ein Zusammenhang zwischen künstlerischer Ästhetik und Förder- und Arbeitsbedingungen identifizieren?

Diese Fragen können nur interdisziplinär bearbeitet werden. Daher arbeite ich im Projekt eng mit Theaterwissenschaftler:innen zusammen. Das Projekt habe ich zuerst zusammen mit Franziska Schößler, Professorin für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Trier, geleitet. Aktuell arbeite ich mit Jens Roselt zusammen, der Professor für Theaterwissenschaft an der Stiftung Universität Hildesheim ist.

Wir kombinieren qualitative sozialwissenschaftliche Methoden, z. B. Interviews und Diskursanalyse, mit theaterwissenschaftlichen Methoden, z. B. Aufführungs- und Probenanalyse.

 

Welche Ergebnisse und Anwendungsmöglichkeiten erwarten Sie?

Die freie Theaterszene ist bisher wenig beforscht. Es ging daher zunächst einmal darum, eine Bestandsaufnahme der Förderbedingungen vorzunehmen. Hierbei vergleichen wir das Flächenland Niedersachsen mit der Bundeshauptstadt Berlin. Auf der Basis von Interviews und teilnehmenden Beobachtungen lässt sich analysieren, inwiefern freie Theaterkünstler:innen auf geänderte Förderbedingungen reagieren, wie sie ihre Produktionsprozesse gestalten und professionalisieren und welchen Zusammenhang sie zwischen ihrer Ästhetik und diesen Bedingungen sehen. Dies untersuchen wir anhand von Fallstudien freier Gruppen. Wir können zum Beispiel zeigen, welchen Beitrag die zunehmenden Kooperationen der Freien Szene mit Stadt- und Staatstheatern zum institutionellen Wandel des Freien Theaters leisten. Interessant ist für uns auch, wie sich die Freie Szene (kultur-)politisch positioniert und welche Formen kollektiver Interessenvertretung sich herausbilden.

Das Projekt hat keinen direkten Anwendungsbezug, d. h. es geht nicht darum, auf Basis der Forschungsergebnisse kulturpolitisch zu gestalten oder die freie Theaterarbeit zu „optimieren“. Dennoch ergeben sich aus unseren Forschungsergebnissen Anknüpfungspunkte für die Gestaltung der Förderpolitik und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Künstler:innen.

 

Mit welchen Mitteln finanzieren Sie Ihr Forschungsprojekt?

Unser Projekt wird von der DFG gefördert. Es ist eines von sieben Teilprojekten der vom Theaterwissenschaftler Chris Balme (Ludwig-Maximilians-Universität München) koordinierten interdisziplinären Forschungsgruppe „Krisengefüge der Künste: Institutionelle Transformationsdynamiken in den darstellenden Künsten der Gegenwart“. Die erste Förderphase von drei Jahren haben wir erfolgreich abgeschlossen und befinden uns aktuell am Beginn der zweiten Förderphase. Diese zweite Phase hat als thematischen Schwerpunkt die Internationalisierung der darstellenden Künste und wird durch ein Corona-Querschnittsprojekt ergänzt, in dem die gerade für die darstellenden Künste gravierenden Auswirkungen der Corona-Schutzmaßnahmen untersucht werden.

 

Welches Problem in Ihrem Forschungsalltag ließe sich nach Ihrer Meinung ohne Geld lösen?

Der Wissenschaft und damit den Wissenschaftler:innen wird heute weniger als früher zugetraut, ohne indirekte Steuerung gute Arbeit zu leisten. Diese indirekte Steuerung besteht aus in Kennzahlen gegossenen Zielvorgaben, Rankings, permanenten Evaluierungen und einer Zunahme von Begutachtungen. Gefühlt verwende ich heute mehr Zeit für das Verfassen von Gutachten als für die eigene Forschung. Der britische Accounting-Forscher Michael Power hat 1997 den Begriff der „Audit Society“ geprägt. Leistungsorientierte Mittelvergabe, Benchmarkings, die Exzellenzinitiative, globale Universitätsrankings, Publikationsdruck und Outputmessung sind Treiber dieses Prozesses. Es geht mir nicht um eine gänzliche Abschaffung dieser Steuerungsformen, aber deren Verselbständigung gilt es Einhalt zu gebieten.

Mein zweiter Vorschlag ist leider nur auf den ersten Blick ohne Geld umzusetzen. Im Vergleich zu guten Universitäten in anderen Ländern nehmen in Deutschland die Lehr- und Prüfungsaufgaben wesentlich mehr Zeit in Anspruch und die Betreuungsverhältnisse in vielen Studiengängen sind schlecht bis unzumutbar. Die Hochschulpolitik duldet dies seit den 1970er Jahren und verschärft dies sogar weiter durch eine Erhöhung des Lehrdeputats und das Ausreizen der Lehrkapazitäten. Dies ließe sich ohne zusätzliches Geld ändern, aber nur auf Kosten der Anzahl an Studienplätzen. Insofern ist, wenn man die Universitätsausbildung vielen jungen und auch älteren Menschen politisch ermöglichen will, doch wesentlich mehr Geld erforderlich.

 

In der wissenschaftlichen Praxis ist Versuch und Irrtum ein grundlegender Lern- und Erkenntnisprozess. Eine gesunde Fehlerkultur entlastet. Wir möchten daher Antworten auf die Frage „Was ist schiefgelaufen?“ veröffentlichen. Gibt es in Ihrer akademischen Laufbahn eine persönliche „Geschichte vom Scheitern“ und wenn ja, was können andere aus ihr lernen?

Die kleinen Niederlagen des Forschenden, z. B. die Ablehnung eines Aufsatzes bei einer renommierten Zeitschrift, die Nichtbewilligung eines Projektes oder in einem Berufungsverfahren nicht eingeladen zu werden, als Scheitern zu bezeichnen, wäre angesichts meiner privilegierten Stellung als Professor und der prekären Arbeitsbedingungen vieler Wissenschaftler:innen kokett und zynisch. Schief läuft in der Forschung aber immer etwas – anders ist ein Erkenntnisprozess, der sich auf neues Terrain begibt, auch kaum vorstellbar. Dies waren bei mir zum Beispiel Projekte, in denen das geplante empirische Design nicht umgesetzt werden konnte, weil der Feldzugang wesentlich schwerer war, als zunächst gedacht. Aber im Projektteam lassen sich dann alternative und oft nicht mal schlechtere Designs entwickeln.

Eine besondere Herausforderung sind interdisziplinäre Kooperationsprojekte, in denen trotz guten Willens Konflikte zunehmen und alle am Ende froh sind, dass das Projekt vorbei ist ‑ obwohl doch gerade die Interdisziplinarität spannende Diskussionen und Erkenntnisse versprach. Daraus lernen ließe sich, und da bin selbst ich ein lebenslang Lernender, die Ausgestaltung von Kooperationsbeziehungen und -strukturen in Forschungsprojekten nicht dem Zufall zu überlassen.

 

Vielen Dank für Ihre Auskünfte.

 

Die Fragen stellte Birgitt Baumann-Wohlfahrt.