


Wissenschaft ist wichtig und sie verständlich darzustellen ebenso. Wie lässt sich gesellschaftliches Vertrauen in die Wissenschaft stärken? Indem die Akteure über ihre Forschungsvorhaben, -methoden und -ergebnisse berichten.
Im aktuellen Beitrag: Frau Prof. Dr. Annika Herr, Professorin am Institut für Gesundheitsökonomie der Leibniz Universität Hannover zum Projekt „Health Equality, Migration and Diversity: Data Driven Assessment of Disparities, Digitization and Diversity in Prevention, Medical Care and Nursing Care in Lower Saxony“.
Wie erklären Sie einem Laien den Kern und die Relevanz Ihres aktuellen Forschungsvorhabens?
Unser Forschungsvorhaben untersucht, wie Faktoren wie Migrationsgeschichte, Alter, Geschlecht und diverse Sexualität die Gesundheitsversorgung beeinflussen. Diese Faktoren wirken sich nicht nur auf die Präferenzen und Bedürfnisse der Menschen aus, sondern auch darauf, ob und wie sie im Gesundheitssystem versorgt werden. Es gibt Herausforderungen sowohl auf Seiten der Anbietenden, wie Ärzt*innen und Pflegepersonal, als auch auf Seiten der Patient*innen. Beispielsweise wurden Arzneimittel lange Zeit nicht an Frauen getestet, was sich inzwischen geändert hat. Muslimische Personen haben im Pflegeheim andere Bedürfnisse als christliche. Menschen mit begrenzten Deutschkenntnissen oder geringer Bildung haben seltener Zugang zu Präventionsleistungen. Trans-Männer berichten von psychologischen Hürden beim Besuch des Frauenarztes. Da Daten über den sozio-kulturellen Hintergrund, insbesondere die Migrationsgeschichte, nicht systematisch erhoben wurden, können wir bisher vor allem aus anderen Ländern lernen. Unser Ziel ist es, diese Unterschiede sichtbar zu machen und systematisch zu analysieren, um die Lücken in der Versorgung zu schließen.
Welcher Methoden bedienen Sie sich?
Wir nutzen eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Methoden. Zunächst verknüpfen wir individuelle Gesundheitsdaten, um die Versorgungsunterschiede deskriptiv zu analysieren. Dabei kontrollieren wir für den jeweiligen Gesundheitszustand. Zusätzlich führen wir qualitative Studien durch, um die aufgedeckten Unterschiede besser zu verstehen – sowohl auf Seiten der Anbietenden als auch der Versicherten. Schließlich planen wir Feldexperimente, beispielsweise durch den Einsatz von Apps oder anderen Telelösungen in Gesundheitseinrichtungen, um neue Ansätze zu testen.
Welche Anwendungsmöglichkeiten erwarten Sie?
Unser Ziel ist es, die Politik zu beraten, wie die Unterschiede in der Versorgung reduziert und die Qualität für alle verbessert werden kann. Dies umfasst konkrete Handlungsanweisungen, aber auch die Entwicklung neuer Maße zur Messung der Ungleichheit in der Qualität sowie von Empfehlungen, wie neue und alte Daten und ihre Verknüpfungen für dieses Thema genutzt werden können.
Mit welchen Mitteln finanzieren Sie Ihr Forschungsprojekt?
Wir finanzieren unser Projekt hauptsächlich durch die Förderlinie zukunft.niedersachsen, die vom Land Niedersachsen und der VolkswagenStiftung unterstützt wird. Insgesamt stehen uns 3,9 Mio. Euro zur Verfügung, die wir vor allem dazu nutzen, um Doktoranden zu finanzieren. Darüber hinaus sind Mittel für den Aufbau eines Netzwerks mit internationalen Expert*innen durch Austauschprogramme und Workshops sowie für Daten, Umfragen und Experimente vorgesehen. Zusätzlich werden Haushaltsmittel für die Finanzierung der Projektleitungen bereitgestellt.
Welches Problem in Ihrem Forschungsalltag ließe sich nach Ihrer Meinung ohne Geld lösen?
Ohne zusätzliche Mittel können wir oft auf die Unterstützung von Interessensverbänden und Betroffenen zählen, die uns in unseren Forschungsprojekten beraten. Diese Zusammenarbeit ermöglicht es uns, realitätsnahe Modelle zu entwickeln. Der Austausch innerhalb der Fakultät ist ebenfalls sehr fruchtbar, beispielsweise im Rahmen von Forschungsseminaren, bei denen Mitglieder des Forschungsschwerpunktes „Gesundheit und Bevölkerung“ oder international anerkannte Gäste ihre Forschung vorstellen und diskutieren.
In der wissenschaftlichen Praxis ist Versuch und Irrtum ein grundlegender Lern- und Erkenntnisprozess. Scheitern markiert hier kein Ende, vielmehr fungiert es als eine lehrreiche Ressource für zukünftigen Erfolg. Gab es in Ihrem akademischen Alltag eine Situation, aus der andere lernen können?
Unser Beruf bietet viele Freiheiten, bringt aber auch Verantwortung und vielfältige Aufgaben mit sich. Es gibt zunächst viele spannende Forschungsfragen und dazu hohe Erwartungen von allen Seiten, was zu Druck führt, der gegeben der Finanzierungssituation der Uni stetig wächst. Priorisierung und das Loslassen von Aufgaben oder Projekten sind extrem wichtig, auch wenn es manchmal schwerfällt. Und eine offene Kommunikation darüber, die in der Regel zu Verständnis auf der Gegenseite führt.
Vielen Dank für Ihre Auskünfte.
Die Fragen stellte Birgitt Baumann-Wohlfahrt.