Hallo Tim, als wir hier in Deutschland noch mit einer gewissen Distanz auf die Ereignisse in Wuhan geblickt haben, sind Sie gerade durch Asien gereist. Bitte erzählen Sie, wie es dazu kam.
Ich habe über ein Austauschprogramm unser Fakultät ein Semester in Kalifornien studiert und habe dann Mitte Januar ein Praktikum bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Südkorea angetreten. Zwischen diesen beiden Stationen habe ich mir einen Monat Zeit genommen, um insgesamt sechs Länder Asiens zu besuchen.
Südkorea meldete seinen ersten Covid-19-Fall am 20. Januar. Am 2. März waren dort schon knapp 110. 000 Menschen auf das neuartige Coronavirus getestet. Wie haben Sie als Ausländer in Seoul die Ereignisse erlebt?
Es war sehr deutlich erkennbar, dass die Bevölkerung Südkoreas bereits in einem frühen Stadium der Pandemie besorgt war. Das hat sicherlich mit den Erfahrungen mit dem MERS-Ausbruch aber auch mit gesellschaftlichen Traditionen, wie dem enormen Respekt der Koreaner vor älteren Menschen und dem Bedürfnis des Schutzes dieser Bevölkerungsgruppe, zu tun. Auffällig war vor allem, dass das Corona-Virus in Südkorea tendenziell eher mit Vernunft und Freiwilligkeit statt mit staatlich angeordneten Verboten bekämpft wird.
Auch der Staat hat eine enorme Innovationskraft bewiesen. Südkorea hat mit den Drive-In-Coronatests angefangen und den Zugang zu diesen unbürokratisch ermöglicht. Man bekommt dort außerdem automatisch Nachrichten auf das Handy, wenn man sich Orten nähert, an denen das Coronavirus übertragen wurde. Auch eine drohende Maskenknappheit wurde effektiv bekämpft. Gleichwohl ist es für nicht dauerhaft in Korea lebende Ausländer ohne nennenswerte Koreanischkenntnisse nicht immer leicht. Beim zentralen Maskenausgabeprogramm war man beispielsweise ausgeschlossen, weshalb es gut war, einige Koreaner zu kennen und hilfsbereite Kollegen zu haben.
Zurück zu Ihrem Studienalltag hier in Hannover. Sie befinden sich jetzt seit 8 Wochen im digitalen Sommersemester. Welche gravierenden Veränderungen hat die Pandemie in Ihr Studium gebracht und wie gehen Sie damit um?
Ich habe bereits vor Corona häufig davon Gebrauch gebracht, mit Lehrbuch und Skript statt Vorlesungsbesuch zu lernen. Dennoch sind die Veränderungen groß, insbesondere was die Durchführung von Seminaren angeht. Auch die Kommunikation mit Lehrenden hat sich verändert, da man bei asynchronen Vorlesungen Fragen erst im Nachhinein stellen kann. Dadurch ist es für die Lehrenden schwieriger geworden, einzuschätzen, welche Inhalte leicht verständlich sind und wo genaueres Erklären nötig ist. Letztlich habe ich mich aber schnell an die Veränderungen gewöhnt und genieße das selbstbestimmte Arbeiten.
Welche zusätzlichen Instrumente oder Maßnahmen würden Ihnen und Ihren Kommilitonen unter diesen besonderen Studienbedingungen helfen, um auch das Sommersemester 2020 mit guten Ergebnissen zu beenden?
Zum Glück konnte unser Vorlesungs- und Seminarprogramm weitgehend aufrechterhalten werden, da wir ja nicht wie viele Studierende in den Naturwissenschaften auf Laborübungen angewiesen sind. Es wäre aber wünschenswert, dass die Fakultät Vorkehrungen für die Situation trifft, dass eine zweite Pandemiewelle die Durchführung der Prüfungsphase zum Semesterende unmöglich macht und das auch entsprechend kommuniziert. Vor allem die Möglichkeit einer freiwilligen mündlichen Online-Prüfung für den Fall, dass Klausuren pandemiebedingt nicht geschrieben werden können, würde dem Einzelnen bei weiteren Studien- und Berufsplanungen etwas mehr Sicherheit geben. Zumindest bei Vertiefungsvorlesungen, wo im Regelfall nicht hunderte Personen die Prüfung ablegen wollen, wäre das denkbar.
Das Leben in Zeiten einer Pandemie ist zum großen Forschungsfeld für Soziologen und Psychologen geworden. Danach verändert Corona nicht nur unseren Alltag, sondern auch unser Verhalten und unsere Werte. Was lohnt es nach Ihrer Meinung, aus dieser besonderen Zeit zu bewahren?
Die Coronakrise kann insbesondere in Deutschland zu einem veränderten Menschenbild führen. Es hat sich gezeigt, dass Dinge wie Homeoffice und Distance Learning funktionieren können, und dass man nicht immer skeptisch sein muss, Menschen mehr Freiheiten zu überlassen – sei es in der Berufswelt aber auch im Hochschulleben.
Sicherlich wird auch dem Einen oder Anderen klarer geworden sein, wie wichtig die Beschäftigten im Lebensmitteleinzelhandel und in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen sind. Gleiches gilt für Schulen und Kindergärten. Den systemrelevanten Berufsgruppen besonderen Respekt entgegenzubringen, ist in meinen Augen ein Verhalten, das langfristig beibehalten werden sollte.
Vielen Dank für Ihre Auskünfte.
Die Fragen stellte Birgitt Baumann-Wohlfahrt